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Der Sinn des Lebens als Thema in Coaching und Beratung

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Coaching befasst sich klassischerweise mit Erfolg. Es erfasst Ist- und Soll-Zustände und klärt mit geeigneten Diagnoseinstrumenten, wie ein Ziel erreicht werden kann. Das sinnorientierte Coaching hingegen lässt Raum für ein Nachspüren und Nachdenklichkeit und ermöglicht Menschen mit ihrem Sein, Wesen und Werten in Kontakt zu treten. Dr. Björn Migge, Autor des Buchs „Sinnorientiertes Coaching“ erläutert, worum es dabei geht.

 

Sinn statt Erfolg

Immer mehr Menschen suchen nach sinngebenden Lebensentwürfen statt nach Erfolg. Viele kommen damit ins Coaching oder in die Beratung. Manche haben zusätzlich ein schweres Ereignis zu verarbeiten oder sie haben das Gefühl, am Leben vorbeizuleben.

Seelsorge befasst sich zum Teil mit diesen Fragen. Manchmal tauchen sie auch in einer Psychotherapie auf. Doch an wen sollen sich Klienten mit ihren Fragen wenden, die keinen geistlichen Beistand suchen oder die nicht krank sind? Eine Möglichkeit hierfür bieten seit vielen Jahren Logotherapeuten und Existenzanalytiker (wovon viele wiederum Pastoren oder Priester sind) sowie auch vereinzelt philosophische Praktiker. In den USA und Großbritannien gibt es außerdem den Beratungsansatz des Existential Counseling (existenzielle Beratung). Diese Beratungsansätze befassen sich mit dem Sinn des Lebens – aber mehr noch mit der Frage, wie ein sinnhaftes, erfülltes und zufriedenes Leben gelebt werden kann. Seit kurzem wenden sich auch Coaches dieser Frage zu und nutzen dabei meist Elemente der philosophischen Tradition sowie der Logotherapie und der existenziellen Beratung.

 

Typische Sinnfragen

Krankheit, Tod, Schuld, plötzliche Veränderung der Rolle, Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, eine neue Nachdenklichkeit nach einem Not-Stopp, neue Gedanken, Rückblick und Vorausblick mit der Frage nach einem Sinn – solche Situationen oder Gemütszustände können scherwiegende Fragen nach sich ziehen:

– Wohin, wofür, wozu soll ich jetzt leben?

– Oder: Wofür war das Bisherige gut, wenn es nun genommen ist?

– Was oder wer trägt mich jetzt und gibt mir Mut zum Leben?

– Aber auch: Wer bin ich eigentlich? Wer sind die anderen?

– Gibt es ein gutes Leben ab jetzt?

Viele treffen in solchen wirklich schwierigen Situationen auf hilfreiche Menschen, die Trost, Wärme und Halt spenden und hierdurch Hoffnung oder Klarsicht ausstrahlen, wie beispielsweise: Hausärzte, Nachbarn, Freunde, Seelsorger, Coaches, Psychotherapeuten, Hospizmitarbeiter, Palliativspezialisten und andere. Viele treffen allerdings auch auf gut gemeinte Ratschläge von Menschen, die ihre eigenen Patentrezepte loswerden möchten. Die meisten Betroffenen jedoch machen die Verstörung mit sich selbst aus oder betäuben Verwirrung und Schmerz in Alkohol, schaffen sich Ablenkung durch Fernsehkonsum und Ähnlichem.

 

Gibt es den Sinn oder nur das sinnvolle und erfüllte Leben?

Gibt es einen objektiven Sinn unseres Daseins und unseres Alltags wirklich? Viele Menschen glauben daran und viele Religionen teilen uns mit, dass sie von diesem Sinn wüssten. Das ist für viele Trost und gibt ihrem Leben Orientierung. Doch über die Hälfte der westlichen Menschen ist nicht religiös. Für sie und auch andere Menschen spielt der Sinn des Alltäglichen eine entscheidende Rolle, denn sie müssen den vielen Situationen des Lebens einen Sinn abgewinnen. Das ist der subjektive Sinn im Leben des einzelnen Menschen, der in diesen Fragen auftaucht:

– Wofür ist das gut, was ich gerade mache?

– Wie soll ich auf die Anfrage, die mir das Leben jetzt stellt, reagieren?

– Was erfüllt mich eigentlich?

– Was gibt meinem Leben Ziel und Richtung im Konkreten?

– Wofür lohnt sich mein Alltag?

– Was motiviert mich?

Das alles sind Fragen des subjektiven Sinns im Leben. Manche meinen, dass man dann lieber nicht von Sinn sprechen sollte, sondern von – um einige Beispiele zu nennen – Erfüllung, Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, Selbstgenügsamkeit, vom „in sich Ruhen“, „authentisch leben“…

Der Sinn, um den es im sinnorientierten Coaching hauptsächlich geht, ist nicht der allumfassende oder religiöse Sinn, sondern der alltägliche, der nach einem guten oder geglückten Leben fragt, das dem wirklichen Wesen des jeweiligen Menschen entspricht.

Doch auch bei schlimmen Erkrankungen, wenn liebe Menschen sterben und in großer Not stellen wir Fragen, hier sogar noch drängender:

– Was ist jetzt die Aufgabe, die ich wahrnehmen will?

– Was ist die wertvollste Antwort auf die Herausforderung des Lebens?

– Was ist jetzt das „Wofür“, das mich am Leben hält?

– Was kann ich dem Leben in dieser Situation schenken?

 

Was sinnorientiertes Coaching leistet

Für den Blick auf den Sinn ist es wichtig, aus den alltäglichen Verpflichtungen, dem Müssen, Sollen und der Beschleunigung sowie Erfolgsorientierung auszusteigen. Stattdessen braucht es Muße und einen achtsamen Umgang mit der Frage, was den Menschen in seinem Wesen ausmacht. Sinnorientiertes Coaching ist kein Ersatz für Religion, Sport, Yoga und dergleichen und gibt auch keine Ratschläge. Es geht eher um grundsätzliche Fragen: Erfüllt dich dein bisheriger Weg, was soll dich als Menschen ausmachen, wie möchtest du mit anderen wirklich zusammenleben, was ist dein Beitrag, den du in dieses Leben geben möchtest? Diese Fragen bringen Ruhe und Nachdenklichkeit in das Leben eines Klienten und sie erweitern den Blick über den Alltag hinaus auf eine grundlegendere Perspektive und Themenkreise, die mit einem geglückten Leben verbunden sind. Dies können beispielsweise sein: Glaube, Ethik, Würde, Lebensliebe, das Böse, Todesangst, Sinnerfüllung, Werte, Intuition, Willensfreiheit, Verantwortung, Geben statt Nehmen, Anrecht auf Achtung, Gerechtigkeit und vieles mehr. Die Antworten muss letztlich jeder Klient selbst entwerfen und das geht am besten, wenn man mit anderen Menschen auf wertschätzende Weise diskutiert und sich im Dialog hinterfragen und anregen lässt.

 

Quellen des sinnorientierten Coaching

Das moderne Thema des Lebenssinns ist eng verknüpft mit der philosophischen Tradition der Existenzphilosophie und hat sich in der Auseinandersetzung mit Philosophen dieser Denkrichtung entwickelt. Daher ist es für Coaches, die Klienten in Sinnfragen begleiten, hilfreich, die Grundzüge dieser philosophischen Strömungen zu kennen. Besonders der Wiener Psychiater und Neurologe Professor Dr. Viktor Frankl, der als Jude mehrere Konzentrationslager überlebte, hat die Frage um den Sinn als zentrales Motiv in die von ihm begründete Logotherapie und Existenzanalyse aufgenommen. Die Kenntnis der Logotherapie – als ein gut ausgebildetes Beispiel für einen Beratungsansatz, der sich um die Sinnfrage entwickelt hat – ist für sinnorientiertes Coaches daher unverzichtbar.

 

Sinnorientiertes Coaching in der Wirtschaft

Coaching in der Wirtschaft befasst sich fast nur mit Erfolg. In der Anwendung gibt es hierbei Elemente, auf die sich die Branche geeinigt hat. So wird beispielsweise meist nach einem Anliegen und nach Zielen gefragt, es gibt Diagnoseinstrumente, mit denen der Ist- und der Soll-Zustand erkundet wird und es gibt Interventionsinstrumente (Tools, Methoden), mit denen gearbeitet wird, um den vereinbarten Erfolg zu ermöglichen. Auch in dieser Form des Coachings schwingt natürlich die Sinnfrage mit. In der Beratungstradition der Philosophie, aus der sich das sinnorientierte Coaching entwickelt hat, muss jedoch nicht nach Anliegen oder Ziel gefragt werden. Denn beides sind bereits vorgegebene Strukturelemente, die einen freien Dialog einengen könnten. Genauso ist es mit den sogenannten Tools. Diese erleichtern zwar die Arbeit und entfalten Aktion und Wirkung. Doch: bringen Sie wirklich Ruhe, Muße, eine neue Form von Nachspüren und Nachdenklichkeit? Bestimmt manchmal oder auch zufällig. Doch in der philosophischen Tradition haben viel mehr auch Lösungslosigkeit und Langsamkeit ihre Berechtigung und Sinn. Förderlich ist hier, was den Menschen – in seinem Tempo und auf seine Weise – in Kontakt bringt mit seinem Sein, seinem Wesen und den Werten, die der Mensch im Herzen trägt.

 

»Wenn du führen willst, musst du Sinn bieten«

Auch in der Führung und in der Wirtschaft ist ein ruhigerer und besonnener Blick hilfreich. So hat beispielsweise ein Freund und Schüler des oben genannten Viktor Frankls – der Soziologe Dr. Walter Böckmann – die Logotherapie und Existenzanalyse auf die Führung und das Management angewandt. Von ihm stammt das Zitat: »Wenn du führen willst, musst du Sinn bieten«. Sinn wird hier als eine Verwirklichung von Werten verstanden, die nicht nach dem Erfolg sucht, der allein durch Wachstum oder Macht- und Geldvermehrung definiert ist. Stattdessen verwirklicht sich Sinn erst dadurch, dass man einen wertvollen und sinnhaften Beitrag in die Welt gibt, sich sozusagen transzendiert und damit nicht nur für sich etwas erreichen möchte, sondern auch für die Welt. Unternehmen, die auf ein solches Wertefundament bauen, haben zufriedenen Mitarbeitende und Kunden.

 

Was glücklich macht

Glück, so meinte Viktor Frankl, kann niemals direkt angestrebt werden. Menschen, die glücklich leben wollen, scheitern oft daran, dass dieser Wunsch nie in Erfüllung geht. Allerdings – das ist wieder hoffnungsvoll – stellt sich das Gefühl eines glücklichen, geglückten und sinnhaften Lebens als Nebeneffekt ein, wenn man nach den Werten des eigenen Herzens lebt und damit Sinn verwirklicht. Das gilt für einzelne Menschen, für Gruppen und sogar für Organisationen und Unternehmen. Zu dieser Art von Glück oder Erfüllung will sinnorientiertes Coaching einen kleinen Beitrag leisten.

 

Quelle: Diese Veröffentlichung ist Teil einer Kooperation mit der Verlagsgruppe Beltz. Dieser Auszug ist erschienen in: Migge, Björn: Sinnorientiertes Coaching, Beltz 2016.

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