Mit Coaching den Lebensunterhalt finanzieren – Wunschtraum oder Wirklichkeit?
Mindestens 80 Prozent der Coaches wird es nie gelingen, mit ihrer Coaching-Tätigkeit so viel Geld zu verdienen, dass sie eine Familie gut ernähren können. Zu dieser ernüchternden Einschätzung kommt Bernhard Kuntz, der Coaches bei ihrer Selbstvermarkung unterstützt. Die Einblicke in seinen Berateralltag sind ernüchternd.
XING Coaches: Sie warnen davor, mit zu hohen finanziellen Erwartungen ins Coaching-Geschäft einzusteigen?
Bernhard Kuntz: Ja, wegen der vielen Mitbewerber und weil akquirierte Aufträge stets zeitlich befristet sind und ein eher kleines Umsatzvolumen haben. Coaches müssen permanent neue Aufträge an Land ziehen, um eine stabile Auslastung zu haben. Entsprechend viel Zeit – und/ oder Geld – müssen Coaches in ihr Marketing investieren, sofern sie bei ihren Zielkunden nicht schon eine hohe Bekanntheit haben. Ich wage die Behauptung: Mindestens 80 Prozent der sogenannten Coaches wird es nie gelingen, rein als Coaches so viel Geld zu verdienen, dass sie eine Familie gut ernähren können.
XING Coaches: Was veranlasst Sie zu dieser pessimistischen Einschätzung?
Kuntz: Gehen wir einmal davon aus, ein Coach müsste circa 75.000 Euro im Jahr umsetzen, um nicht nur seine Büro- und Werbekosten zu begleichen, sondern auch seine Familie zu ernähren, sich als Selbständiger sozial zu versichern und ausreichend fürs Alter vorzusorgen. Dann kann sich jeder Newcomer ausgehend von seinen Honorarsätzen fragen: Wie viele Coachingaufträge müsste ich pro Jahr an Land ziehen und wie viele Coachingsitzungen müsste ich durchführen, um 75.000 Euro zu verdienen, und ist dies mittelfristig realistisch? Bei vielen dürfte die Antwort „nein“ lauten.
XING Coaches: Was ist das Hauptproblem vieler Coaches bei der Auftragsakquise?
Kuntz: Vielen fehlt die erforderliche Biografie, um hohe Tages- oder Stundensätze durchzusetzen und ausreichend Aufträge an Land zu ziehen.
XING Coaches: Was raten Sie diesen Coaches?
Kuntz: Es gehört zu meinem Job, Kunden reinen Wein einzuschenken, insbesondere wenn sie Gefahr laufen, aufs falsche Pferd zu setzen und sich mit hoher Wahrscheinlichkeit finanziell zu ruinieren. Von Tagträumen allein wird niemand satt. Entweder müssen sich diese Coaches eine andere berufliche Perspektive aufbauen oder ihr Leistungsspektrum erweitern – zum Beispiel, indem sie auch Beratungs- und Trainingsleistungen anbieten, die zu ihrer beruflichen Biografie und fachlichen Expertise passen.
XING Coaches: Das klingt, als mussten Sie schon den ein oder anderen Coach die Illusion auf das leicht verdiente Geld nehmen?
Kuntz: Ja, und das finde ich erschreckend. Viele wollen oder müssen mit ihrer Arbeit als Coach ihren Lebensunterhalt und oft den ihrer Familie finanzieren. Der Plan geht oft nach hinten los. Deshalb müssten meines Erachtens auch die Anbieter von Coaching-Ausbildungen viel schärfer prüfen: Bringen die Interessenten für unsere Ausbildung die erforderlichen Voraussetzungen für diesen Beruf mit? Insbesondere dann, wenn deren erklärtes Ziel lautet, sich anschließend selbstständig zu machen, also Unternehmer zu sein. Die meisten Anbieter werben in ihren Unterlagen mit „Werteorientierung“ und nennen den wertschätzenden Umgang mit Menschen als eine Coaching-Voraussetzung und zentrales Lernziel ihrer Ausbildungen. Also haben sie aus meiner Warte auch eine Mitverantwortung dafür, was aus den Teilnehmern ihrer Ausbildungen beruflich wird.
Zum Interviewpartner: Bernhard Kuntz ist Geschäftsführer der PRofilBerater GmbH, Darmstadt, die Trainer, Berater und Coachs bei ihrer Selbstvermarkung unterstützt. Er ist u.a. Autor des Marketing-Ratgebers „Die Katze im Sack verkaufen“.