Evaluationsverfahren in Beratung und Coaching
In der Regel erhalten professionell ausgebildete Berater und Coaches in ihrer Ausbildung Rückmeldungen in Form von Hospitationen, meistens hospitieren Trainer und andere Fortbildungsteilnehmende. Jeder weiß, dass positives Feedback guttut und dass konstruktive, handhabbare Kritik zur Weiterentwicklung beiträgt. Daher ist es ratsam, dass Berater und Coaches regelmäßig Feedback einholen, um ihr Handeln zu evaluieren und sich gezielt weiterentwickeln zu können.
In der täglichen Beratungspraxis mangelt es an systematischen Feedback- und Evaluationsmöglichkeiten. Was bleibt, ist das Vertrauen in sich selbst, zum Beispiel indem Sie Ihr Handeln selbst reflektieren (mittels schriftlicher, Video- oder Tonaufzeichnungen) oder sich externe Unterstützung durch eine Supervision oder Hospitation suchen. Dies führt jedoch zu folgenden Fragen: Können und wollen Sie sich und Ihrem Klienten zumuten, dass eine weitere Person im Raum ist, um zu hospitieren? Wie beeinflusst ein Tonbandgerät oder eine Videokamera Ihr Verhalten oder das Ihres Klienten?
Meist fühlen sich beide Personen in Beobachtungs- oder Aufzeichnungssituationen unwohl, gehemmt und wenig authentisch. Eine weitere Person im Raum oder eine Videokamera bzw. ein Mikrofon beeinflussen die Situation und führen zu Verzerrungen. So prägte der Soziolinguist William Labov schon in den siebziger Jahren den Begriff des Beobachterparadoxons (Labov 1970, S. 47). Beobachtende verändern durch ihre Präsenz die beobachtete Situation.
Das Feedback vom Profi ist zwar hilfreich, richtig wertvoll ist jedoch das Feedback der Klienten, denn sie nehmen die Beratung oder das Coaching als zahlende Kunden in Anspruch. Sie werden im Laufe der Gespräche zu Experten für Ihre Beratungs- und Coaching-Kompetenz. Das sollten Sie ernstnehmen und für sich nutzen.
Häufig holen Berater und Coaches die Meinung des Klienten am Ende der Sitzung oder im Abschlussgespräch ein. Im Face-to-Face-Feedback fragt der Berater zum Beispiel: »Wie hat es Ihnen gefallen?« Die Gefahr besteht dann darin, dass eher allgemein als differenziert geantwortet wird, etwa so: »Danke, war alles okay!« Darüber hinaus sind Face-to-Face-Antworten nur bedingt ehrlich. Sie werden tendenziell durch Höflichkeit und soziale Erwünschtheit verzerrt (Noelle-Neumann/Petersen 2005, S. 97; Stocké 2004, S. 303).
Die Evaluation per Fragebogen führt schon zu objektiveren Ergebnissen. Dennoch werden solche Fragebögen nach Beratungsgesprächen eher selten eingesetzt – zu Recht, denn die klassischen Fragebögen sind häufig zeitaufwendig und wenig klientenfreundlich. Allzu oft sind sie auf die Interessen der fragenden Person ausgerichtet, die etwas erfahren möchte, ohne die Antwortbereitschaft und -fähigkeit des Befragten angemessen zu berücksichtigen (Noelle-Neumann/Petersen 2005, S. 126).
Unsere Perspektive ist eine andere. Unsere Fragestellung lautet: Was will (und kann) die Klientin oder der Klient mitteilen? Nur die ernsthafte Berücksichtigung der Antwortbereitschaft und -fähigkeit führt zu zuverlässigen Ergebnissen. Dies kann mithilfe eines besonderen Instruments – wie in unserem Fall eines Kartensets – erfolgen. Dank dieses Instruments wird die Befragung für die Klientinnen und Klienten kurzweilig, abwechslungsreich und interessant (Noelle-Neumann/Petersen 2005, S. 168).
Dann stellt sich nicht mehr die Frage: Können Sie Ihrer Klientin oder Ihrem Klienten die Befragung zumuten? Stattdessen signalisieren Sie Folgendes: Ihre Meinung ist mir wichtig! Das ist die höchste Wertschätzung gegenüber Ihren Kunden.
»Blinde Flecke«
Warum ist es so wichtig, zu erfahren, wie Sie von Ihren Klientinnen und Klienten wahrgenommen werden? Das Bild, das Sie von Ihrem Coaching oder Ihrer Beratung haben, ist unvollständig. Es bildet nur einen Teil ab. Unbewusst senden Sie Signale aus, die nur andere wahrnehmen, Sie selbst jedoch nicht – dies ist Ihr »blinder Fleck« (Schmidt 2015, S. 148 ff).
Mit der Evaluation Ihrer Beratungs- und Coaching-Kompetenz erhalten Sie die Möglichkeit zur »Selbsteinsicht mit fremder Hilfe«, dadurch wird die »Ausbildung eines realistischen Selbstkonzeptes« ermöglicht (Müller 2008, S. 9). Das Wissen um die Fremdwahrnehmung ist eine wichtige Ergänzung und somit eine Erweiterung Ihrer persönlichen Selbsteinschätzung. Kurzum: Feedback vervollständigt das Bild und trägt dazu bei, dass der »öffentliche Bereich« durch den Abgleich von Selbst- und Fremdbild vergrößert wird. In der Folge kann sich der »blinde Fleck« verkleinern.
Was bedeutet dies konkret für Ihre Evaluation mit unserem Erhebungsinstrument? Es wird Ergebnisse geben, die Sie erwartet haben, und es wird Ergebnisse geben, die Sie überraschen werden. Vielleicht wirken Sie empathischer, als Sie dachten? Vielleicht wird Ihre Beratung oder Ihr Coaching als weniger hilfreich und zielführend empfunden, als Sie es sich wünschen? Sie merken, es warten viele spannende Ergebnisse auf Sie.
Evaluationskarten und passgenaue Weiterentwicklung – die Vorteile auf einen Blick
Die Kombination von Evaluations- und Entwicklungsinstrument bedeutet, dass Sie nicht bei der Evaluation stehen bleiben, sondern Ihre Beratungs- und Coaching-Kompetenz sehr individuell weiterentwickeln können. Dies sind die Vorteile des Instruments:
Fundierte Fachlichkeit: Durch die Evaluationskarten erleben Sie Ihren Klienten als wertvollen Feedbackgeber. Dabei erhalten Sie ein kriteriengeleitetes Feedback, das die wesentlichen Beurteilungsdimensionen der Beratungs- und Coaching-Kompetenz umfasst. Dieses Feedback ist fachlich fundiert. Allgemeine Äußerungen wie »War ganz gut bei Ihnen« werden durch ein differenziertes Feedback ersetzt.
Geringer Zeitaufwand: Da sich die Karten schnell und unkompliziert einsetzen lassen, wird keine kostbare Coaching- und Beratungszeit verschwendet. Die Klientin oder der Klient sortiert die Karten, die Sie im Anschluss allein auswerten können.
Flexibilität: Zeitpunkt und Inhalt der Evaluation bestimmen Sie selbst. Sie entscheiden, wann und mit welchen Aussagen Ihre Beratungs- und Coaching-Kompetenz evaluiert wird. Ihre persönliche Bereitschaft und Ihr aufrichtiges Interesse sind dafür entscheidend. Sie sind motivierter, weil Sie die Items (Aussagen) auswählen können und es im wahrsten Sinne des Wortes »in der Hand haben«, welche Evaluationskarten bei der Klientin oder dem Klienten zum Einsatz kommen.
Vertraulichkeit: Sie allein werten die Karten aus und sehen das Ergebnis. Es besteht kein Grund zur Sorge vor einem unmittelbaren Vier-Augen-Feedback, bei dem Sie sich womöglich rechtfertigen müssen oder das Bedürfnis haben, ein Lob der Klientin oder des Klienten zu schmälern. Sie erhalten ein Feedback im geschützten Rahmen.
Vergleichbarkeit: Da die Evaluationskarten nach einem standardisierten Verfahren eingesetzt werden, können die Ergebnisse der einzelnen Feedbacks miteinander verglichen werden. Auf dieser Grundlage können Sie Ihre persönliche Weiterentwicklung dokumentieren. Ein objektivierbarer Gesamteindruck entsteht.
Verständlichkeit: Die Evaluationskarten sind einfach und verständlich formuliert, sodass unterschiedlichste Klientinnen und Klienten damit befragt werden können.
Objektivität: Die Karten geben die jeweiligen Items (Aussagen) vor, sodass es nur auf den Inhalt ankommt und nicht zusätzlich auf die Wirkung oder die Formulierung, wie es bei mündlichem Feedback häufig der Fall ist. Hier werden para- und nonverbale Signale der Feedback-Gebenden ausgeblendet.
Überschaubarkeit: Sie können aus den Rückmeldungen der Klientin oder des Klienten kleine Veränderungsziele ableiten und konkrete Maßnahmen für Ihre Weiterentwicklung planen. Bei einer Ergebnisdokumentation besteht somit auch in der Zukunft die Möglichkeit eines intraindividuellen Vergleichs Ihrer Beratungs- und Coaching-Kompetenz. Nicht alles muss (sofort) verändert werden; Sie können mit kleinen Schritten beginnen.
Wirksamkeit: Sie kennen die Einschätzungen Ihrer Klienten, sodass Sie Ihre Beratungs- und Coaching-Kompetenz gezielt optimieren können. Sie entwickeln ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, indem Sie Ihre Weiterentwicklung bewusst planen und steuern. Sie erhalten ein passgenaues Hintergrundwissen, das Sie mit Reflexions- und Entwicklungsaufträgen festigen und vertiefen. Dies ist lernpsychologisch weitaus sinnvoller als das bloße Aneignen von Wissen.
Nachhaltigkeit: Sie überprüfen Ihre Fortschritte, sichern und erweitern die Qualität Ihres Coachings bzw. Ihrer Beratung.
Quelle: Diese Veröffentlichung ist Teil einer Kooperation mit der Verlagsgruppe Beltz und ein Auszug des Booklets: