Was wir von Kindern lernen sollten
Dr. Elvira HauskaSystemisches Coaching, Business Coaching, Karriere/ Skills-CoachingZum ProfilErwachsene fühlen sich Kindern überlegen. Dennoch sind es – vor allem im Umgang mit Konflikten – eher die Kinder, die Erwachsenen Vorbilder sein können. Daher ist es sinnvoll, sich manche Eigenschaften von den Jüngsten abzuschauen.
Eigene Kinder sind der beste Beweis dafür, dass in Konfliktsituationen kreative Denkleistungen möglich sind. Im Zuge unterschiedlicher Diskussionen und Gedanken über die Größe meines eigenen Bauches, die meistens ärgerlich waren, hatte plötzlich meine Tochter Katja eine originelle Idee. Sie meinte, „Mama, Dein Bauch ist deshalb so groß, weil darin so viel Liebe ist.“ Sie sagte den Satz und ab diesem Moment kippte vor allem mein Zugang dazu. Es war plötzlich nicht mehr wichtig, wie groß oder klein der Bauch ist, viel bedeutender ist es, dass Liebe darin ist. Das hatte ich offensichtlich nach Meinung meiner beiden Kinder ganz gut hingekriegt. Diese kreative Denkweise an Probleme ganz neu heran zu gehen, sollten wir uns öfter mal von Kindern abschauen.
Sich selbst hinten anstellen können
Ist ein Kleinkind hungrig, der betreuende Elternteil jedoch müde oder mit anderen Dingen beschäftigt, um sofort den Wunsch zu erfüllen, ist ein Streit vorprogrammiert. Dennoch können Eltern in dieser Situation normalerweise nicht flüchten, auch ein Kampf ist unangebracht. Es herrscht eine Zwangssituation, weil zumindest einer sein ursprüngliches Vorhaben für eine Zeit aufgeben muss. Bedürfnisaufschub ist der Fachausdruck dafür, wenn man auf etwas, was man eigentlich sofort möchte, noch warten und manchmal sogar darauf verzichten kann. Nach dieser Fähigkeit beurteilen Fachleute auch den Entwicklungsstand von Kindern.
Doch auch Ältere sind angehalten, eigene Bedürfnisse kritisch zu hinterfragen. Der Psychologe Viktor E. Frankl zeigt in seinem Buch „…trotzdem Ja zum Leben sagen“ sehr eindrucksvoll, dass es nicht immer ein Glück ist, etwas zu zusätzlich zu erhalten, sondern es auch glücklich machen kann, wenn einem etwas erspart bleibt.
Eigene Wünsche genau hinterfragen
Meine wohl größte eigene Lernerfahrung in dem Zusammenhang verdanke ich meinem Sohn Martin. In einer etwas heftigeren Auseinandersetzung mit ihm vor vielen Jahren machte ich die Bemerkung, dass ich mir wünschen würde, dass er auf dem Mond wäre. Martin zog sich daraufhin ganz ruhig an und verließ die Wohnung, ohne dass ich ihn aufhalten konnte. Er war damals etwas mehr als sechs Jahre alt. Ab diesem Moment lief mein Gehirn auf Hochtouren: Was habe ich mir da bloß gewünscht? Mein wirkliches Bedürfnis war es nicht, dass mein Sohn auf Nimmerwiedersehen verschwindet, sondern vorrangig wollte ich einfach nur Recht haben. Was, wenn ihm etwas passiert oder er möglicherweise gar nie mehr auftaucht? Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ein paar Minuten später Martin an der Wohnungstür läutete und wieder zu mir zurückkam. Er sagte seelenruhig: „Mama, ich habe den Weg zum Mond gesucht, ihn aber leider nicht gefunden und hoffe, Du bist mir deshalb nicht böse. Ich wollte nur Deinen Wunsch erfüllen. “
Kinder sind Profis im Aufbau von Verbundenheit, einem Zustand, der zentral für das soziale Leben aller Menschen ist und auch in einem Coaching-Prozess meist die bedeutendste Rolle spielt. Seit dieser Episode hat die Verbindung zwischen meinem Sohn und mir eine neue Dimension erhalten. Mein Sohn erhielt die Gewissheit, dass er auch in kritischen Situationen souverän handeln kann. Ich verdanke diesem Ereignis vor allem die Erkenntnis, dass – bei all den vielen Ausbildungen und beruflichen Erfahrungen, die ich bisher machte – mein Sohn für immer mein bester Lehrmeister war und ist. Vor allem was den Umgang mit Konflikten betrifft.
Wir alle sollten aus diesen Erfahrungen lernen, dass ein Entwicklungsstand jedes Menschen wohl eher an der Fähigkeit gemessen werden sollte, Bedürfnisse zu reflektieren und anzupassen, als darauf zu warten, dass sie von anderen erfüllt werden.