Feedback?
E-Mail?

Warum wir abends im Bett noch mal schnell Mails checken

Wussten Sie, dass jeder dritte Bundesbürger abends im Bett noch seinen E-Mail-Eingang checkt? Woran das liegt und was wir dagegen tun können, beschreibt Katharina Münk im Kapitel “Always on” ihres neuen Buchs “Mal eben kurz den Chef retten”. 
Als ehemalige Chefsekretärin weiß Katharina Münk, wovon sie schreibt; heute ist Münk Bestsellerautorin von Sachbüchern und Romanen (“Und morgen bringe ich ihn um!”, “Die Insassen”) sowie unter dem Namen Petra Balzer als zertifizierter Personal Coach und Trainerin für Fach- und Führungskräfte tätig. “Mal eben kurz den Chef retten” handelt davon, was das neue, digital vibrierende Arbeitsleben mit den Führungskräften und deren “Managern” im Sekretariat macht. In Kooperation mit dem Campus-Verlag veröffentlicht XING Coaches folgenden Auszug.

 

Always on – ständige Erreichbarkeit

Wussten Sie, dass jeder dritte Bundesbürger kurz vor dem Schlafengehen – und damit meine ich nicht vor dem Zähneputzen, sondern eher vor dem Ausknipsen der Nachttischlampe – noch seinen E-Mail-Eingang checkt? Ja, wir beenden den Tag mit einem Tastendruck. Meine Freundin ist Assistentin einer der wenigen weiblichen Vorstände dieser Republik. Auch sie liegt abends im Bett und checkt Mails. Es ist ihr sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen. Ihre Chefin liegt dann nämlich zeitgleich im Bett, und der ist das „Senden“ in Fleisch und Blut übergegangen. Das liegt daran, dass es dem Chef der Chefin ähnlich ergeht, weil es auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden so geht.

Ja, diese Kette ließe sich gegebenenfalls bis an die Spitze dieser Republik fortsetzen, Frau Merkel! Bleibt eine Mail länger als zwei Tage unbeantwortet, machen wir uns Sorgen um den Geistes- oder Gesundheitszustand des Adressaten, vermuten ihn auf dem Meeresgrund oder unter der Schneelawine. Wir erwarten zumindest „Alles-klar“ oder „Ich-kümmere-mich“-Nachrichten, irgendeine Resonanz. Mit Leerstellen und Stille können wir kaum mehr leben. Wer nicht mailt, hat verloren. Auch unsere Chefs werden da plötzlich erstaunlich feedback-orientiert. „Haben Sie meine Mail/meine SMS bekommen?“ dürfte sich unter den Top 10 der am häufigsten ausgesprochenen Sätze befinden.

Und je mobiler die Führungskräfte werden, desto mehr wird das „Sekretariat“ zum ausgelagerten Systemzugang – stets zu Diensten, auch um 19.00 Uhr in der Schlange bei Aldi an der Kasse. Da hilft kein Steckerziehen. Ein Drittel der Arbeitszeit geht mit Mail-Checken drauf, und nach Büroschluss bleiben wir im Check-Modus. Arbeits- und Lebenszeit entgrenzen sich. Nicht jeder arbeitet bei Volkswagen, wo die Server zwischen 18.15 Uhr abends und 07.00 Uhr morgens einfach ausgeschaltet werden. Oder bei der Deutschen Telekom, wo eine Richtlinie den Chefs untersagt, außerhalb der Arbeitszeit Mails an Mitarbeiter zu schreiben. Die Mitarbeiter müssen in ihrer Freizeit und am Wochenende keine Mails beantworten. In Frankreich ist bei Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern jetzt das „droit à la déconnection“ wirksam. Eine Assistentin darf nach dieser gesetzlichen Regelung ihr Handy abends abschalten. Da kann ihr Chef simsen, was er will. Wenn sie mutig ist, wird sie ihn nach einer Weile durch Nicht-Reaktion konditioniert haben, und er wird seinen Reflex unterdrücken. Es ist wie beim Pawlowschen Hund, der irgendwann nicht mehr gleich nach Futter sabbert, nur weil die Hundehüttentür aufgeht. Das hofft man jedenfalls in Frankreich. Es könnte tatsächlich funktionieren.

Selbst im pflichtbewussten Deutschland sagen laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung nur 16 Prozent der Gesamtbevölkerung, dass es ihnen wichtig sei, „immer und überall erreichbar“ zu sein. Das ist gerade im internationalen Vergleich erstaunlich wenig, und wir dürfen sicher sein, dass unter den 16 Prozent definitiv eine Mehrzahl unserer Chefs ist – sowie wir selbst. Je jünger wir sind, desto mehr legen wir Wert auf ständige Erreichbarkeit, und wir geben unser Handy ja nicht nach Feierabend an der Drehtür ab. Sekretärinnen schalten vielerorts sogar gleich mehrere Leitungen auf ihr Handy und nehmen das Büro damit quasi mit in den Feierabend – auch um ihre Ohren zu verschonen von diesem Satz, den wir alle kennen: „Es ging niemand ans Telefon!“ Und somit haben der Chef und die, die ihn per Festnetz zu erreichen suchen, auch nach 18.15 Uhr noch Glück und erwischen eine Ansprechpartnerin. Was er und andere Spättelefonierer dabei unter Umständen in Kauf nehmen müssen, sind Hintergrundgeräusche aus den Kinofoyers, Kinderzimmern und Umkleidekabinen dieser Republik.

 

Was machen wir nun an 5 Arbeitstagen und Arbeitsabenden in der Woche mit der Erreichbarkeit?

Das Prinzip des Pawlowschen Hundes gefällt mir. Auf die Erreichbarkeit übertragen, würde das heißen: Reichen Sie nie den kleinen Finger. Sie sagen ja auch (hoffentlich) nicht „Ist noch was?“, wenn Sie Feierabend machen, sondern „Ich bin jetzt weg“ (wobei das rein faktisch ja nicht so ganz stimmt, denn in diesem Moment sind Sie ja noch da). Lassen Sie schon rein sprachlich keinen Raum für allzu lange Inanspruchnahme. Das gilt auch für Ihre Reaktionszeiten auf eingehende Nachrichten: Je seltener oder zumindest später Sie abends auf E-Mails oder SMS antworten, desto weniger davon werden Sie bekommen. Ständige Erreichbarkeit ist kein Schicksal, sie entsteht aus der Erwartung, dass Sie ständig da sind. Steuern können das nur Sie selbst. Zählen Sie nicht auf die Gnade anderer. Nie. Die sind reflexgesteuert und drin im Automatismus, sie merken nicht einmal, wie egoistisch das im Grunde ist. Erst wenn Sie Erwartungen nicht mehr bedienen, wird sich auch das Verhalten der anderen schrittweise verändern. Statt ständig den Ball zurückzuspielen, behalten Sie ihn einfach etwas länger.

Sie können auch Ihren Chef mit ins Spiel nehmen, denn der ist ja auch nicht aus purer Lebensfreude ständig erreichbar. Meine Freundin und ihre Chefin haben sich jetzt vorgenommen, drei Mal am Tag mit Menschen zu telefonieren, denen sie sonst eine Mail geschickt hätten. Das gilt auch für die Kommunikation der beiden untereinander. Sie telefonieren jetzt miteinander, und je mehr sie miteinander telefonieren, desto weniger bedonnern sie sich gegenseitig mit Mails. Und sie wissen: Die Hemmschwelle, um 23.00 Uhr noch einmal kurz anzurufen, ist ein kleines bisschen größer, als eine Mail zu schicken. Es ist ein Anfang.

Sie möchten gerne weiterlesen? Das Buch “Mal eben kurz den Chef retten” von Katharina Münk ist im August 2017 im Campus-Verlag erschienen. Weitere Informationen hier:

 

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